Vortrag gehalten von Sant Kirpal Singh, Miami, 1. Januar 1964
Als Erstes sollten wir wissen, was Initiation bedeutet. Initiation ist keine Zeremonie, kein Ritus, kein Ritual, kein Opferbrauch. Es ist wie in einer Schule, in der eine Lektion gelehrt wird. Bei dieser Lektion wird zuerst die innere Theorie erklärt und dann eine innere Erfahrung gegeben.
Wir sind alle Kinder Gottes. Gott ist Licht und auch wir sind Licht, vom selben Wesen wie Gott. Aber unser Licht ist von verschiedenen Umhüllungen umgeben – der physischen, astralen, kausalen und superkausalen. Es ist wie bei einer Lampe, die von zwei, drei oder vier Hüllen umgeben ist, es sieht so aus, als wäre kein Licht da. Entfernt man jedoch eine der Hüllen, ist etwas Licht zu sehen, nimmt man eine weitere Hülle ab, dringt noch mehr Licht hindurch, entfernt man alle Hüllen, sieht man, dass sie alles Licht ist. Genauso sind wir Licht, Kinder des Lichts, aber wir sind von so vielen Hüllen umgeben. Initiation bedeutet, unsere Seele zu erheben und die Umhüllungen abzuschütteln: als Erstes die Hülle des physischen Körpers, die ich als eisernen Vorhang bezeichnen würde. Es bedeutet, die Seele über das Körperbewusstsein, über das physische Bewusstsein, zu erheben, das innere Auge zu öffnen um eine Erfahrung des Lichts zu erhalten, und auch das innere Ohr zu öffnen um die Stimme Gottes oder die Musik der Sphären zu hören. Das bedeutet der Begriff Initiation tatsächlich: Ins Jenseits initiiert zu sein.
"Lernt zu sterben, damit ihr beginnen könnt zu leben." Was müssen wir dafür tun? Wir sind Seelen, bewusste Wesen, der Sitz unserer Seele im Körper ist hinter den Augen. Ihr habt sicher schon einmal jemanden sterben sehen: Das Leben zieht sich von unten zurück, erhebt sich hinter die Augen und die Augen drehen sich nach oben. Dann kommt sozusagen der letzte Akt, den man Tod nennt. Der Sitz der Seele im Körper ist also hinter den Augen, aber sie erhellt den ganzen Raum – den ganzen Körper. Diese Strahlen der Seele, könnte man sagen, die den ganzen Körper beleben, müssen zurückgezogen und hinter den Augen gesammelt werden. Dort öffnet sich das innere Auge oder Einzelauge und wir sehen das Licht Gottes. Deshalb sagte Christus: "Wenn dein Auge einfältig ist, wird dein ganzer Leib Licht sein."
Jetzt haben wir zwei Augen, wie können die zwei Augen eins werden? Das ist eine Frage der Praxis. Alle anderen Meister sagten genauso, dass das Dritte Auge, das hinter den Augen liegt, geöffnet werden sollte. Aber es öffnet sich nur, wenn unser Lebensstrom, unser Sinnesstrom, hinter die Augen zurückgezogen wird. Das ist der erste Schritt.
Viele Wege wurden dafür vorgegeben, aber die meisten wurden von Menschen erfunden. Sie sind zeitraubend, schwierig und auch gefährlich und heutzutage sind wir von unserer Anlage her dafür nicht geeignet. Diese Wege benützen das Prana System, den Atem usw., oder versuchen durch intellektuelles Ringen zu einem Schluss zu kommen – aber all das bedeutet nicht sehen.
Es geht also um die praktische Selbstanalyse: Wie man sich über das Körperbewusstsein erheben kann, wie man stirbt noch während des Lebens. Plutarch sagt: "Diejenigen, die ins Jenseits initiiert wurden, deren Seele macht dieselbe Erfahrung wie zur Zeit des Todes."
Man muss also die Seele an ihren Sitz hinter die Augen zurückziehen. Wenn ihr das selbst könnt, gut. Jeder kann es versuchen, ein Blinder braucht zwei Augen um zu sehen. Wenn ihr es nicht könnt, braucht ihr die Hilfe von jemandem, der den Weg kennt und dazu kompetent ist. Wer hat die Kompetenz dazu? Nicht der Sohn des Menschen, denkt daran. Es ist Gott in Ihm, Gott, der in Ihm offenbar ist, der durch einen Gedanken fähig ist, unsere Seele ohne jede Mühe über die Bindungen des Gemüts zu erheben. Mit einem Gedanken schuf Gott die ganze Schöpfung. Natürlich wohnt Gott in jedem Herzen. Es gibt kein Herz, das ohne Ihn ist, aber Er ist dort nicht offenbar. Woran liegt das? Unsere Seele ist unter der Kontrolle des Gemüts, das Gemüt wiederum steht unter der Kontrolle der nach außen gerichteten Sinne und unsere Aufmerksamkeit wird durch sie in der Welt zerstreut. Wir sind mit der Welt identifiziert. So kennen wir diese Kraft nicht, obwohl sie natürlich existiert. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit von außen zurückziehen und uns dann über die Sinne erheben, öffnet sich unser Auge und wir sehen, dass sie da ist. "Wenn ihr die Tore des Körpertempels schließt, werdet ihr das himmlische Licht sehen."
Das bedeutet Initiation in Wirklichkeit. Bevor wir zu Ihm kommen ist unser inneres Auge und unser inneres Ohr geschlossen. Sie sind "versiegelt", wie die Schriften es nennen. Einer also begegnet jenen, die wirklich nach Gott aus sind. Wer ist er? Gott in ihm, Gott, der Gestalt angenommen hat. Es gibt Brot für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen. Der Meister erscheint, wenn der Schüler bereit ist. Das wurde von Gott so bestimmt, nicht vom Menschen. Wenn Er sieht, dass ein Kind nach Ihm verlangt, sorgt Er dafür, einen solchen Sucher nach der Wahrheit dorthin zu führen, wo Er offenbar ist. Dieser offenbarte Gott ist kompetent ihm eine Erfahrung vom Licht zu geben und ihn die Sphärenmusik hören zu lassen. Das ist mit Initiation gemeint. Deshalb sagte Christus zu seinen Schülern: "Gesegnet seid ihr, die ihr Dinge seht, die die alten Propheten und Gerechten nicht sehen konnten", und weiter: "Gesegnet seid ihr, die ihr Dinge hört, die die alten Propheten und Gerechten nicht hören konnten." (Matthäus 13:17)
Es gibt also etwas, das man sehen und hören kann – die Stimme Gottes ist zu hören und das Licht Gottes ist zu sehen. Das ist bereits in uns, es ist die kontrollierende Kraft, die uns im Körper hält, sonst würden wir den Körper verlassen: Die beiden Augen und die beiden Nasenlöcher sind geöffnet, aber trotzdem können wir den Körper nicht verlassen. Das genau ist also mit Initiation gemeint. Das greift nicht in irgendeine Religion ein, denn die Religionen sind unsere Gedankenschulen, denen wir uns angeschlossen haben, um eben diese Wahrheit zu erlangen. Die Wahrheit ist eine: Gott ist Licht und Gott ist die Musik der Sphären. In Wirklichkeit definiert der Meister einen Blinden nicht als einen, der keine Augen im Kopf hat, sondern als einen, dessen inneres Auge geschlossen ist. Entsprechend der Terminologie der Heiligen ist der blind, dessen inneres Auge geschlossen ist, obwohl er zwei Augen im Kopf hat.
Wenn ihr zu Ihm kommt, seid ihr blind. Wenn Er euch eine Meditationssitzung gibt, seht ihr Licht und könnt es bezeugen. Wenn ihr wieder zurückgeht, seid ihr nicht mehr blind. Wenn ihr eure Augen schließt, seht ihr Dunkelheit. Er, der kompetent ist, beseitigt den Schleier der Dunkelheit und das Licht erstrahlt. Ihr selbst bezeugt, dass es so ist – das ist mit Initiation gemeint. Hier beginnt das ABC. Es ist nicht das letzte Ziel, seid euch dessen bewusst. Wo die Philosophien der Welt enden, beginnt die Religion. "Im Haus meines Vaters gibt es viele Räume." Der Eine, der kompetent ist, eure Seele ins Jenseits zu erheben und euch eine Erfahrung vom Licht Gottes und der Stimme Gottes zu geben, ist auch kompetent, euch zu führen, wenn ihr euch über das Körperbewusstsein erhebt und jene Ebenen durchquert – und zwar Gott in Ihm, den man auch Gotteskraft, Meisterkraft, Christuskraft nennt. Das ist das höchste Ziel, das als Mensch vor uns liegt, und nur diesen Sinn hat es, sich den verschiedenen Religionen anzuschließen. Ihr werdet sehen, dass ein wahrer Christ als einer definiert wird, der das Licht Gottes sieht. Ebenso ist in den Schriften ein wahrer Hindu, Sikh, Muslim usw. als einer definiert, der das Licht Gottes sieht. Ihr habt euch verschiedenen Gedankenschulen angeschlossen, das ist der erste Schritt. Eine Schule oder Hochschule zu besuchen, ist ein Segen; wenn ihr aber immer weiter in diese Schule geht, ohne das Ziel, das ihr erreichen wolltet, als ihr in diese Schule eingetreten seid, zu erreichen, dann denke ich, habt ihr aus der Tatsache, dass ihr euch dieser Schule angeschlossen habt, nicht das Beste gemacht.
Wir haben zwar den ersten Schritt, der notwendig ist um den Boden vorzubereiten, gemacht, dieser erste Schritt ist, die Schriften zu lesen, Gebete zu sprechen, bestimmte Riten und Rituale auszuführen. Aber was ist ihr Sinn? Wenn wir die Schriften lesen, wissen wir, was die Meister über dieses Thema sagten. Aber ihr könnt die wahre Bedeutung (der Schriften) nur verstehen, wenn ihr mit jemandem zusammen seid, der den Weg kennt. Diejenigen, die versuchen, die Schriften nur auf der Ebene des Intellekts zu interpretieren, können der Sache nicht voll gerecht werden. Es heißt, Gott ist Licht, aber die Intellektuellen sagen, es ist das Licht des Verstandes. Es ist jedoch wirkliches Licht. Die Reichweite des Schriftenlesens endet damit, in uns das Interesse zu wecken, die gleichen Erfahrungen zu erlangen, wie sie die Meister in ihrem Leben hatten. Welche Bedeutung kommt den Riten, Ritualen und Gebeten zu? Sie sollen in uns Liebe und Hingabe für Gott entwickeln. Es sind gute Handlungen, die notwendig sind um den Boden zu bereiten. Aber dennoch steht Sehen über allem. Die Seele beginnt zu sehen, wenn sie vom Gemüt und den nach außen gerichteten Sinnen befreit ist. Deshalb sagen alle Meister: "Mensch erkenne dich selbst."
Das versteht man also unter Initiation. Wenn Meister in die Welt kommen, vertreten sie nicht die eine oder die andere Religion. Sie erklären uns einfach die höchste Lehre, von der alle Meister gesprochen haben. Wir haben sie vergessen und die Meister haben sie wiederbelebt. Wer gibt ihr wieder neues Leben? Gott in ihnen. Das ist es, was wir brauchen.
Als Erstes: Wer kann euch mit Gott verbinden? Allein Gottes Gnade kann euch mit Gott verbinden. Das Erste ist, übergebt alles Gott. Als Zweites muss man einige vorbereitende Schritte tun: Eine strikte vegetarische Ernährung – Fleisch, Fisch, Geflügel und Eier sind zu meiden. Warum? Die Menschen denken vielleicht, dass ihnen das Kraft gibt. Aber was fressen die Tiere? Und wie stark sind sie. Kraft wird in Pferdestärken gemessen. Im Westen wird die vegetarische Ernährung jetzt sehr propagiert. Bisher hat man schon 15 Weltkongresse für Vegetarismus abgehalten und nur einer davon fand in Indien statt, 14 im Westen. Überall wird die vegetarische Ernährung propagiert. Man hat erkannt, dass sie einer Ernährung mit Fleisch in jeder Hinsicht überlegen ist. Das ist ein Grund. Der zweite Grund ist, dass wir unsere Leidenschaften unter Kontrolle haben müssen. Alles, was die Leidenschaften entfacht, müssen wir meiden. Das ist der wichtigste Aspekt. Wenn ein Arzt euch, dem Patienten, rät, keine feste Nahrung zu sich zu nehmen, müsst ihr es befolgen. Es ist eine Hilfe. In gleicher Weise müssen wir, die wir bewusste Wesen sind, bewusster werden. Alles, was unserem Bewusstsein schadet, müssen wir beiseite lassen. Das bedeutet: alle Berauschungsmittel – alle! Und darüber hinaus, habt einen guten Charakter. Das sind die Punkte, die notwendig sind, die hilfreichen Faktoren um initiiert zu werden. Auch wenn ihr die Initiation erhaltet und nicht danach lebt – "Achtet darauf, dass das Licht in euch nicht Dunkelheit wird."
Das ist mit Initiation gemeint und das sind die vorbereitenden Schritte. Es gibt Brot für die Hungrigen und Wasser für die Durstigen. Vielleicht wissen wir, was wir tun müssen, sei es aufgrund der Rückwirkungen aus der Vergangenheit oder weil wir durch die verschiedenen Höhen und Tiefen des Lebens hindurchgegangen sind oder durch unsere Unterscheidungskraft. Dann ist in uns das Verlangen nach einer sicheren Zuflucht, einem Hafen, wohin wir gehen können. Gott sieht, wenn sich dieses Verlangen in einem Menschen erhebt, denn Er ist in uns. Er trifft Vorkehrungen um uns dort in Kontakt zu bringen, wo wir ins Jenseits initiiert werden können. Das greift nicht in eine Religion ein, es ist das grundlegende Prinzip aller Religionen, das wir vergessen haben, das ist alles. Wenn ihr die Religionen studiert und vergleicht, werdet ihr das herausfinden. Sie sagen alle dasselbe: Licht und Ton sind der Weg zurück zu Gott. Das sind die zwei Aspekte der wirkenden Gotteskraft.
Bleibt, wo ihr seid; es ist nicht notwendig, die Religion zu wechseln. Seid einfach eurer Religion gegenüber aufrichtig. Ich bin den Führern und Geistlichen der meisten Religionen begegnet. Diese Lehren stehen in ihren Schriften, aber sie selbst haben keine Kenntnis davon. Sie kennen nur die Anfangsschritte und sprechen nicht von diesen (inneren) Dingen. Würden sie darauf hinweisen, würden die Menschen sagen: "Bitte gebt es uns (die praktische Erfahrung)." Was dann? So erwähnen sie es besser nicht. Irren ist menschlich. Wir vergessen. So kommen von Zeit zu Zeit Meister um die vergessene Lektion wiederzubeleben. Es ist also keine neue Religion, kein neuer Glaube, keine neue Gemeinschaft. Das hilft jedem den Lehren seines eigenen Meisters, dem er angehört, treu zu sein. Das ist alles. Ich denke, das klärt, was Initiation ist und was die Voraussetzungen und hilfreichen Faktoren für die Initiation sind.