Auszug aus einem Abendsatsang von Sant Kirpal Singh
Frage: Im Buch 'Gottmensch' habt Ihr einige Gesetze erwähnt, wie das Gesetz der Sympathie und das Gesetz von Bedarf und Versorgung, aber in erster Linie scheint Ihr von Gnade zu sprechen. Und ich dachte, vielleicht könntet Ihr noch erklären, wie Gnade alles aufhebt – die Gnade des Meisters.
Sant Kirpal Singh: Bitte wiederhole es noch einmal. Nicht hastig, dann wirst du es durch deine eigene Frage verstehen.
Frage: Würde es Euch etwas ausmachen, darüber zu sprechen?
Sant Kirpal Singh (verschmitzt): Sicher macht es mir etwas aus, aber gut.
Frage: Die Bedeutung der Gnade ...
Sant Kirpal Singh: Weiter – was willst du weiter? Das könnte so vieles bedeuten.
Frage:... und wie sie alles andere aufhebt, wie das Gesetz von Bedarf und Versorgung, das Gesetz der Sympathie, das Gesetz des Karma.
Sant Kirpal Singh: Wenn du eine Mutter bist und dein kleines Kind Hilfe braucht, hilfst du. Es gibt niemanden, der sich um es kümmert. In kalten Nächten schaut sie darauf, dass ihr Kind nicht friert. Sie gibt dem Kind ihre eigene Decke. So gibt Er euch zuerst zu essen und zu trinken, dann folgt vieles mehr, ohne dass ihr darum zu bitten braucht. Selbst mit all euren Bemühungen könnt ihr euch nicht einmal über das Körperbewußtsein erheben. Er kommt, um euch zu helfen. Ihr fragt euch, wie? Er gibt und Er will nichts dafür. Seine Gnade kommt, und Er verlangt keine Gegenleistung; Er will nichts dafür. Genauso wie Mütter barmherzig sind und Mitleid mit ihren Kindern haben, so ist es auch mit Meisters Liebe. Denkt Er nur ein klein wenig an euch, könnt ihr nicht anders als weinen, versteht ihr? Allein Sein Blick inspiriert. Wenn ihr jemanden seht, der sehr glücklich ist, sieht man es an den Augen; sie leuchten. Die ganze Atmosphäre wird geladen sein, nicht wahr? Gnade ist keine Sache von Gegenleistung. Denn wie ich euch gesagt habe ist Gnade so wie eine Mutter–Kind–Beziehung. So bringt Er euch natürlich über das Gesetz von "Wie du säst, so wirst du ernten." Kurze Zeit erhebt ihr euch über das Körperbewußtsein. Er erhebt euch über die Stufe von "Wie du säst, so wirst du ernten", auf der ihr euch befindet.
Gnade – was bedeutet also Gnade? Ich werde euch ein Beispiel aus dem Koran erzählen: Ein Mann verließ Haus und Heim und ging bereits in seiner Kindheit in den Dschungel. Es gab dort kein Wasser und nichts zu essen. Gott sorgte vor, damit er seinen Durst löschen konnte, indem Er einen frischen Quell entspringen ließ, der nie versiegte. Der Mann trank von diesem Wasser, wusch sich darin und machte Bußübungen. Sein ganzes Leben verbrachte er auf diese Weise. Schließlich mußte er sterben. Er wurde vor Gott geführt. Dieser Mann achtete alle, hatte Haus und Heim verlassen und alle Vergnügungen und Verhaftungen etc. aufgegeben. Gott sagte: "Gut, aus Gnade vergeben wir dir." Er erwiderte: "Ich habe mich selbst abgetötet, verließ Haus und Heim. Ich lebte im Dschungel und habe alle Bußübungen ausgeführt, und bei all dem vergibst du mir aus Gnade? Ich sollte den Ausgleich dafür erhalten, ich habe so viel getan." Gott sagte: "Gut, sage mir, was du getan hast, ich werde dir den Lohn dafür geben." Er schwieg. Zu schweigen bedeutet, halb zuzustimmen, nicht wahr? Gott sagte: "Gut, nun sieh –es gab im Umkreis von Meilen keine Quelle. So ließ ich eine Quelle für dich entspringen. Dann gab es dort einen Baum, der dir kostenlos einen ganzen, großen, voll ausgereiften Granatapfel schenkte. Das geschah nur für dich. Nimm das als Ausgleich für alle deine Bußübungen." Versteht ihr den wahren Sinn? Gerechtigkeit und Gnade sind zwei verschiedene Dinge, denkt daran. Gerechtigkeit und Gnade sind etwas Verschiedenes. Er sagte: "Gut, vergib mir, aus welchem Grund auch immer."
Habt ihr das Jap Ji gelesen? Im letzten Abschnitt spricht er (Guru Nanak) von denen, die ein reines Herz haben, die den Schlüssel besitzen, das Tor zu Gottes Königreich aufzuschließen – es sind die Reinen unter uns. Es läßt sich nicht erzwingen. Vergeßt eine Weile euch selbst – wie ein Baby. Ein Baby hat kein Ich. Wenn das innere Auge geöffnet ist, sind wir auf dieser Stufe. Wir sind nicht der Handelnde, es gibt kein Ich. Es kommt von selbst. Er möchte gerne, dass jeder ein König wird, aber es ist nicht so. Alle weinen schmerzlich danach. Ohne Gnade kann man nicht mit Gott in Einklang kommen. Es geht nicht durch eigene Anstrengung, nur durch Gnade. Seht, die Yogis haben Hunderte von Jahren gebraucht, um den Körper zu verlassen, um die niedrigen Chakras zu durchqueren. Hunderte von Jahren! Ihr bekommt es am allerersten Tag. Ist das nicht Gnade? Niemand kann es selbst erreichen, vom Kommen und Gehen erlöst zu werden. Denn wie ihr denkt, so werdet ihr. Wenn ihr die Saaten sät, müßt ihr sie auch so lange ernten, bis Seine Gnade auf euch herabkommt. Das bedeutet also Vergeben, Gnade und Barmherzigkeit. Der gewöhnliche Mensch entzündet ein Licht, das den Himmel erleuchtet, aber darunter ist Dunkelheit. Die Lampen brennen und verlöschen dann wieder, das Licht, das sie ausstrahlen, endet, und es herrscht wieder Dunkelheit. Ein Gesetz ist Gerechtigkeit und das andere Vergeben und Vergessen.
Einmal geschah folgendes in meinem Leben: Meine Frau sollte von einer entfernten Bahnstation kommen, und ich ging, um sie abzuholen. Sie war in einer großen Menschenmenge, und da entwendete ein Dieb ihre Geldbörse. Die Polizei ertappte den Mann auf frischer Tat. Entschuldigt – nun wollte der Polizist, dass ich auf der Wache Anzeige erstattete. Es wurde Anklage gegen ihn (den Dieb) erhoben. Ich sagte ihnen: "Es ist nur Geld, es ist in Ordnung, Gott vergebe ihm." – "Nein, nein, das soll aufhören." Sie ließen ihn auf die Polizeiwache kommen, er musste mit meiner Frau hingehen. Ihr wißt, diese Diebe werden nicht anständig behandelt. Ich sagte ihnen: "Ich muss in mein Büro, ich kann nicht hierbleiben." – "Schon gut, es wird nur 5,10 oder 15 Minuten dauern. Eine Viertelstunde verging, eine halbe Stunde, eine Stunde. Sie gingen zum zuständigen Oberinspektor. "Ich muss gehen, ich bin mitgekommen, weil Sie es wollten." Der Fall wurde zu Protokoll genommen. Sie versuchten gerade, ihn geständig zu machen und schlugen ihn. "Ich habe es nicht getan, ich habe es nicht getan..." So kam der Fall vor Gericht. Ich war anwesend und der Polizist. Ich mußte daran teilnehmen, meine Frau war nicht dabei, sie kam nie mit. Der Mann, der den Diebstahl begangen hatte, war da und ein Verwandter von ihm. Der Richter eröffnete die Verhandlung. Er fragte: "Was ist größer, Gerechtigkeit oder Gnade? Ist Gerechtigkeit größer oder Gnade?" Ich sagte zu ihm: "Gnade ist größer. Es ist keine Gerechtigkeit, die durch die Gesellschaft ausgeführt wird." – "Nein, das stimmt nicht." – "Nein, entschuldigen Sie, es wird keine Gerechtigkeit geübt, was ich Ihnen sage, stimmt." Wenn Gnade herabströmt, dann gibt es Vergeben. So sagte ich zu ihm: "Der ist der größere Mensch, der aus rechtem Verstehen vergibt. Seht, dieser Mann (der Richter) möchte vergeben. Er setzt sich dafür ein, aber man erlaubt es ihm nicht." So wohnte ich der Gerichtsverhandlung bei. Der Richter war anwesend. Ich sagte zu ihm: "Lieber Freund, wenn Sie ihm irgendwie mildernde Umstände geben und ihn freilassen könnten, wären Sie ein großer Richter." Zuerst musste ich mich mit ihm unterhalten. "Lag bei irgendeinem Gerichtshof schon eine Beschwerde vor?" Er antwortete: "Nein." Dann sagte er: "Nun gut, laßt ihn morgen frei." Und was geschah? Immer, wenn ich dort vorübergehe, sagen sie: "Hier, hier ist Er." Hört also auf das: Gnade wäscht alles weg – wirklich alles. Gnade braucht keinen Ausgleich. Das war eine gute Frage.
Ich wurde einmal als Geschworener vor ein hohes Gericht berufen. Es ging um einen Fall, der so einfach lag wie kein anderer zuvor. Plötzlich kam mir in den Sinn: "Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet werdest." Ich bat den Richter: "Würden Sie mich freundlicherweise gehen lassen? Ich bin nicht dazu da, um zu richten." Er war auch ein Initiierter von Baba Sawan Singh.
Wer über einen anderen Menschen richtet, ist nie zufrieden. Er wird immer weitermachen. Es gibt bei Gericht niedere und höhere Instanzen, Bundesgerichtshöfe; vier, fünf Jahre zieht sich das hin. Bei einem Streit zwischen zwei Predigern sagt jeder von ihnen: "Ich habe das Recht, die Saat der Gerechtigkeit zu säen."
Versteht ihr jetzt, was Gnade bedeutet? Aus Gnade heraus wird euch allen vergeben. Die Avatare kennen keine Gnade. Hafiz sagt, dass er schließlich verstand, dass das Königreich der Heiligen die Vergebung ist. Mit all dem, was ich euch gesagt habe, könnt ihr euch in Minuten, in kürzester Zeit von Anfang an über den Körper erheben – die, deren inneres Auge geöffnet ist, um das Licht Gottes zu sehen. Ist das nicht Gnade!
Habt eure Bestimmung vor Augen, verlasst euch auf unseren Meister, Er ist sehr barmherzig.
In meinem Leben geschah folgendes: Es war an einem Sonntagmorgen. Ich war in der Satsanghalle. Ich sollte einen Vortrag halten. Und als ich gerade beginnen wollte, erfuhr ich, dass der Meister nach Lahore gekommen war. Nun war ich im Zwiespalt, was sollte ich tun? Sollte ich mit dem Satsang beginnen, den Vortrag halten oder zum Meister gehen? So entschied ich: "Ich habe Anweisungen" und kümmerte mich um Seinen Satsang. Das war um zwölf. Später, am Nachmittag, ging ich dann zu dem Platz, an dem Er sein sollte, aber Er war schon nach Beas zurückgefahren. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich richtig gehandelt hatte oder falsch, und so fuhr ich mit dem Zug hin und kam dort um drei oder vier Uhr an. Ich erzählte Ihm alles und sagte Ihm, dass ich nicht wüßte, ob ich es richtig oder falsch gemacht hätte. Er sagte: "Ich freue mich, dass du deine Pflicht getan hast. Ich gab dir die Anweisung dazu." Die Meister haben Achtung davor, wenn man eine Pflicht tut, ohne zu überlegen, ob man etwas dafür bekommt oder nicht. Ich hatte eine kleine Tochter, die krank war. Sie starb in der Nacht. Ich hüllte sie in ein Tuch. Am nächsten Morgen musste ich einen Satsang halten. So bat ich jemanden, auf den Körper aufzupassen und nicht viel darüber zu sprechen. Die Leute sagten: "Was für ein Mensch ist er?" Die Wahrheit besteht, es entsprach den Lehren der Meister. Sein Wort sollte Gesetz sein. Es ist die Wahrheit der Bibel, Meisters Koran (Gesetzbuch). "Wer sich daran hält, sieht in mir sein Schicksal." Versteht ihr jetzt, was mit Gnade gemeint ist?
Es gibt so vieles. Einmal erhielt ich ein Telegramm von meiner Frau:"Dein Sohn ist ernsthaft erkrankt, komm sofort." Auf dem Weg traf ich einen anderen Satsangi, der ganz durcheinander war. "Was ist mit dir?" Er antwortete: "Mein Sohn ist krank."– "Hast du ihn behandeln lassen?" – "Ich habe kein Geld." Was machte ich? Ich fuhr zu dem Sohn des Mannes, rief den Arzt, besorgte Medizin für ihn, blieb zwei, drei Stunden dort und half ihm bei seinem Sohn. Das bedeutet: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst."
Ein Initiierter ist noch mehr als nur ein Nächster, nicht wahr? Es ist etwas, das gelebt werden muss. Darüber zu reden ist eine Sache, es zu tun etwas anderes. Daran erkennen wir Liebe. Nun werden wir finden, dass das gegenseitig ist. So könnte man sagen: "Oh Herr, wir danken Dir, denn Du hast das Geheimnis vor den Weltklugen verborgen und es den kleinen Kindern offenbart." In ihnen ist kein Übelwollen, kein eigenes Handeln, kein Gedanke an Ausgleich oder Gegenleistung.
Ja, noch etwas? Das war eine gute Frage. Wenn wir nur so viel darüber lernen würden. Gut, Gott segne euch. Seid fröhlich.